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die Stelle der Geologie in der Reihe der Naturwissenschaften

von

Herrn Professor STUDER.

Man darf wohl eingestehen, dafs, wenn auch vielleicht in der Section der Philosophen die Systematik der Naturwissenschaften ein längst und vollständig gelöstes Problem heifsen mag, in der Section der Naturforscher selbst noch viel Schwankendes über die Grenzen der verschiedenen Provinzen ihres Gebietes bemerkt werde. Ich will nicht von den Franzosen und Engländern reden, denn es ist anerkannt, dafs so hervorragend die Verdienste beider Nationen um die weitere Ausbildung, die allgemeine Verbreitung und technische Anwendung der Naturwissenschaft sind, sie sich doch in der neueren Zeit um die ersten Grundsätze nur wenig bemühen und gerne alle dahin einschlagenden Grübeleien, als sogenannte Methaphysik, den Deutchen überlassen. Aber unter den Deutschen Naturforschern selbst scheint keineswegs Übereinstimmung in dieser Sache zu herrschen, und von den meisten möchte man fast glauben, dafs sie sich auch hierin die berühmten Ausländer zum Vorbild gewählt hätten. Wie trübe es in unserer Zunft aussieht, so J. 1831.

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bald von allgemeinen Ansichten über Naturwissenschaft die Rede ist, beweifst u. a. der schon vor fünfzig Jahren angeregte und jetzt wieder heftiger als je auflodernde Streit zwischen den Naturforschern und den Humanisten, und das geringe Glück, womit meistens die erstern ihre gute Sache zu verfechten wissen. Denn während die Philologen ihr Treiben mit Allem, was den Menschen grofs und heilig ist, in die engste Verbindung zu setzen und sich und ihre Schüler mit Begeisterung und stolzer Selbstachtung zu erfüllen vermögen, sind unsere Leute oft nicht wenig verlegen, wenn man sie um die Rechtsansprüche ihres Faches befragt: sie können die Fäden nicht auffinden, durch die es mit den höhern Forderungen der Humanität zusammenhängt, oder sie verwirren sich gar in ein gemeines Geschwätz von Brodnutzen und Alltagsbrauchbarkeit, und bereiten auf diesem morastigen Grunde ihren Gegnern einen leichten und sichern Sieg. Es zeugt ferner für die Richtigkeit meiner Anklage die uns näher liegende, im Innern der Zunft selbst schon viele Jahre dauernde Fehde zwischen den Mineralogen und Chemikern, eine Fehde, die sich nie hätte erheben können, wenn von Anfang her man sich über die Vertheilung des Stoffes besser verständigt hätte. Es zeugt dafür der Unfrieden, der nun im Lager der Mineralogen selbst ausgebrochen ist, und die Divergens in allen Principien, aus denen unsere beiden Heerführer ihre Argumente herleiten.

Bei dieser allgemeinen Landfehde ist leicht vorauszusehen, dass auch das Gebiet der Geologie keinesweges werde seine Neutralität behaupten und sich mitten zwischen den feindlichen Nachbaren in ruhigem Besitz erhalten können; und wirklich möchten diese schönen Landestheile um so schlimmer mitgenommen werden, als es seinen eigenen Bürgern sehr gleichgültig zu seyn scheint, ob sie ferner noch in ihrer Selbstständigkeit fortbestehn, oder mit andern Landestheilen zn einem grössern Ganzen vereinigt,

ob sie diesem oder jenem fremden Herrn angehören, oder zwischen mehreren vertheilt werden sollen. Oder sehn wir nicht, ohne allen Widerspruch, die Geologie heute der Mineralogie, morgen der physischen Geographie, oder Astronomie einverleiben, während wieder andere diese erstern Wissenschaften nur als ihre Vasallenländer betrachten wollen? Sehn wir nicht die einen sie der Naturlehre unterordnen, die andern der Naturgeschichte und noch andere sie beiden parallel stellen? Beinahe keine mögliche Combination ist unversucht gelassen worden, und jedes Lehrbuch schlägt hier seinen eigenen Weg ein, ohne sich um frühere Tractate und um die Rechtfertigung des eigenmächtigen Verfahrens zu kümmern.

Bei dieser gänzlichen Gesetzlosigkeit ist es wohl jedem vergönnt, sein Gutachten über eine mögliche Ausgleichung der Partheien vorzutragen, und ich darf um so eher hoffen, einige Bereitwilligkeit zu finden, da es nicht sowohl eine neue und eigenthümliche Ansicht ist, die ich zu vertheidigen unternehme, sondern diejenige des grofsen Meisters, den unsere Section im In- und Ausland als den Begründer und ersten Gesetzgeber ihres Gemeinwesens anerkennt.

Das letzte Ziel aller Naturforschung ist die Erkenntnifs des innern Princips der Dinge und die Erklärung des Daseyns und der Eigenschaften derselben aus diesem Princip nach Causalverhältnissen. Die zu einem Ganzen verbundenen systematisch geordneten Kenntnisse, auf welche die Naturforschung sich stützt, oder die sie als Resultate ihres Strebens betrachtet, bilden die Naturwissenschaft.

Das innere Princip der Dinge bleibt uns auch immer verborgen, und das Ziel unserer Forschung liegt in unendlicher Ferne; aber im Aufsteigen von der sinnlichen Wahrnehmung nach diesem Ziele stofsen wir

auf den Begriff von Naturkräften, die wir als Aufserungen jenes Princips anerkennen. Diese Kräfte wirken nach Gesetzen, die sich mathematisch construiren und analytisch entwickeln lassen, und das Daseyn so wie die Liegenschaften der Dinge gelten uns nun als Wirkungen jener Naturkräfte nach mathematischer Nothwendigkeit; die der sinnlichen Wahrnehmung näher stehenden Naturkräfte als Resultanten zusammenwirkender, oder als specielle Fälle allgemeinerer Kräfte. Die empirische Naturforschung, unvermögend daз innere Wesen der Dinge selbst zu erfassen, richtet daher ihr Streben auf die Entdeckung dieser höheren und allgemeineren Agentien, und die Natur erklären heifst nun, die Erscheinung als eine nothwendige Wirkung dieser Kräfte nachweisen.

In jedem bereits Früchte tragenden Zweige der Naturwissenschaft lassen sich demnach drei Perioden der Entwickelung unterscheiden, und es ist für die ganze Behandlung desselben von wesentlichem Einflufs, in welchem dieser drei Stadien er sich eben befinde. Die erste Periode ist diejenige der Sammlung sinnlicher Wahrnehmungen, der Vergleichung und Ordnung derselben; die zweite benutzt diese Vorarbeit zur Auffindung und mathematischen Construction der Naturgesetze, sie stellt Theorieen auf und verfolgt, in analytischer Entwickelung derselben, die Naturkräfte in ihren Wirkungen; die dritte kehrt wieder zurück zu der sinnlichen Wahrnehmung und erklärt sie. Man ist gewohnt, die Naturwissenschaft in der ersten Periode ihrer Ausbildung Naturgeschichte, in den beiden letztern Naturlehre zu heifsen; doch gibt man auch zuweilen diesen zwei Benennungen eine etwas abweichende Bedeutung, die ich, da sie mir einfacher und logisch richtiger erscheint, vorziehen werde. In voller Schärfe werden die drei Perioden der Naturwissenschaft schon von Baco horvorgehoben. Die erste heifst ihm auch allein historia, die beiden letzten ver

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einigt er in seinen philosophia naturalis. In voller Schärfe werden dieselben in dem Werke de augm. scient. hervorgehoben: historia naturalis, sagt BACO, usu duplex est: adhibetur enim, aut propter cognitionem rerum ipsarum, quae historiae mandantur, aut tanquam materia prima philosophiae; atque prior illa, quae aut narrationum jucunditate delectat, aut experimentorum usu juvat, atque hujusmodi voluptatis aut fructus gratia quaesita est (satis enim scimus, heifst es weiterhin, haberi historiam naturalem mole amplam, varietate gratam, diligentia saepius curiosam; attamen si quis ex ea fabulas et antiquitatem et auctorum citationes et inanes controversias, philologiam denique et ornamenta eximat, quae ad convivales sermones, hominumque doctorum noctes potius, quam ad instituendam philosophiam sunt accomodata, ad nil magni res recidet) longe inferioris notae censenda, prae ea, quae inductionis verae et legitimae sylva sit, atque supellex et primam philosophiae mammam praebeat. Attamen omnis solida et fructuosa naturalis philosophia duplicem adhibeat scalam, eamque diversam, ascensoriam et descensoriam, ab experientia ad axiomata et ab axiomatibus ad nova inhoc est, ut dividatur doctrina de natura in inquisitionem causarum et productionem effectuum, speculativam et operativam.

venta

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Zu dem Gebiete seiner Naturgeschichte zählt aber Baco nicht nur alle natürlichen Einzelwesen, sondern auch alle natürlichen Erscheinungen, und er theilt daher dieselbe in die Naturgeschichte der Himmels-Erscheinungen, der Meteore, der Erde (Geographie), der Elemente (Chemie u. s. w.), und der Species (Naturgeschichte im Sinn der neuern Zeit). Wie umfassend er diesen Begriff genommen, ergibt sich noch klarer aus dem von ihm selbst ausgeführten Versuch, eine Naturgeschichte zu schreiben; denn die ganze Arbeit (silva silvarum, sive historia naturalis) zerfällt in Eintausend Experimente, welche

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