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Das höchste Gut oder die Glückseligkeit and der letzte Endzweck sind im gegenwärtigen Leben unerreichbar; denn mit der Erreichung des letzten Zweck es hört alles Verlangen auf; würde ihn der Mensch erreichen, so gäbe es daher kein Gut mehr für ihn, ja er würde selbst aufhören zu empfinden, denn alle Empfindung ist mit irgend einem Verlangen oder Absch eu verbunden, und Nichtempfinden heifst nicht Leben Das gröfste Glück aber besteht darin, ungehemmt immer weiter von einem Ziele zum andern Ziele fortzuschreiten. Selbst im Gen ist noch der Genufs des Ersehnten. Verlangen, nämlich eine Bewegung der Seele des Geniefsenden durch die Theile der genofsen werdenden Sache hindurch; denn das Leben ist beständige Bewegung, die, wenn sie nicht in gerader Linie fortschreiten kann, sich immer im Kreise herumdreht. [28]

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Von Natur sind alle Menschen gleich und haben alle das Recht auf Alles. So lange die Menschen daher aufser dem Staate leben, im blofsen Stande der Natur sich befinden, ist es nothwendig, dafs wegen der Leidenschaften der Menschen, ihrer Gleichheit und wegen ihres Rechtes auf Alles ein Krieg Aller gegen Alle Statt finde, ein Zustand, in dem Alles erlaubt, nichts recht oder unrecht ist. Keineswegs ist aber ein solches Recht den Menschen nützlich; denn es hat fast die nämliche Wirkung, als wenn es gar kein Recht gäbe. Die gegenseitige Furcht der Menschen vor einander, die ein solcher Zustand nothwendig mit sich bringt, und die Einsicht, dafs der Krieg Aller gegen Alle höchst nachtheilig

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sei, und die Erreichung des Zweckes der Lebenserhaltung, den ein Jeder von Natur sich vorsetzt, unmöglich mache, bewegen daher die Menschen, aus diesem Zustande zu

suchen; die Menschen geben, und Frieden zu

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daher ihr Recht auf

Alles auf, verpflichten und verbinden sich durch Verträge, welche das Natur- oder Moralgesetz zu halten gebietet, zur Aufrechthaltung und Bewerkstelligung des Friedens, welchen die Vernunft oder das Natur- oder Moralgesetz gleichfalls räth und gebietet, gemeinschaftlich mitzuwirken. Zu diesem Zwecke aber, nämlich zu dieser Sicherheit, die die Ausübung der von der Natur oder Vernunft gebotnen, den Frieden bedingender Gesetze erfordert, reicht nicht hin eine blofse -Uebereinkunft oder Gesellschaft ohne eine gemeinsame Macht, der sich die Einzelnen aus Furcht vor der Strafe fügen. Zu diesem Zwecke wird erfordert eine förmliche Einigung (unio), die die gänzliche Unterwerfung des Willens der Einzelnen unter Einen Willen erheischt. Das einzige Mittel zur Begründung und Erhaltung des Friedens ist daher, dafs ein Jeder seine ganze Macht und Gewalt auf Einen Menschen oder Eine Versammlung von Menschen überträgt, und dadurch alle Willen sich auf einen Einzigen reduciren, d. h. dafs Ein Mensch (oder eine Versammlung) die Person eines jeden einzelnen Menschen übernimmt, und dafs ein Jeder sich für den Urheber aller Handlungen bekennt, welche jene Person ausübt, und seinen Willen ihrem Willen und Urtheil unterwirft. So vereinigen sich nun Alle in Eine Person. Und diese Vereinigung geschieht durch den Vertrag, den Jeder mit Jedem schliefst, gleich als sagte Jeder zu Jedem: ,,Ich übertrage diesem Menschen (oder dieser Versammlung) meine Macht und mein

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Recht, mich selbst zu regieren, unter der Bedingung, dafs auch du deine Gewalt und dein Recht auf eben denselben überträgst. Dadurch wird die Menge jetzt Eine Person, und es entsteht der Staat, jener grosse Leviathan, oder sterbliche Gott, dem wir allen Frieden und allen Schutz unter dem unsterblichen Gott zu danken haben.

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Weder irgend ein Bürger, noch alle zusammen (mit Ausnahme dessen, dessen Willen für den Willen Aller gilt) sind für den Staat zu halten. Der Staat ist nur die Eine Person, deren Willen, den Verträgen mehrerer Menschen gemäfs, für den Willen Aller gilt, damit sie sich zum gemeinsamen Frieden und Schutz der Kräfte und Fähigkeiten der Einzelnen bediene. [30]

Die Versammlung, oder der Mensch, dessen Willen die Einzelnen ihren Willen unterwarfen, hat absolut- unumschränkte, untheilbare Macht im Staate. Denn er hat in seiner Hand das Schwerdt der Gerechtigkeit, er ist Gesetzgeber, er ernennt die Magistrate und Staatsdiener, er bestimmt, was recht und unrecht, bös oder gut ist, und verbietet die dem Frieden schädlichen Lehren und Meinungen. Alles was er thut, muls ungestraft bleiben. Er ist nicht gebunden an die Gesetze des Staates, da sie seine Gebote sind. Nichts haben die Bürger eigen, worauf er nicht Recht hätte; denn sein Wille enthält den Willen aller Einzelnen, und der Staat erst ist der Ursprung des Eigenthums. Diejenigen, welche die höchste Gewalt im Staate haben, können den Bürgern kein Unrecht thun, denn das Unrecht besteht nur in einer Verletzung der Verträge; die oberste Staatsgewalt aber ist durch keine Verträge irgend einem verpflichtet; denn wird auch z. B. die Monarchie von der Gewalt des Volkes, das

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sein Recht, d. i. die höchste Gewalt auf Einen Menschen überträgt, abgeleitet; so hört doch in dem Augenblick, wo der Monarch seine Macht vom Volke erhalten hat, das Volk auf Volk d. i. eine Person zu sein, indem aber die Person aufhört, hört auch die Verpflichtung gegen die Person auf. [31]

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Der Staat ist daher allein in dem Könige oder überhaupt in der höchsten Staatsgewalt enthalten. Um den Begriff des Staates zu fassen, ist es daher wesentlich, zwischen Volk und Menge zu unterscheiden. Das Volk ist Eines, hat Einen Willen, und es kann ihm Eine Handlung zugeschrieben werden, diefs kann aber nicht von der Menge gesagt werden. Das Volk regiert in jedem Staate; denn auch selbst in den Monarchieen herrscht das Volk, denn es will durch den Willen Eines Menschen; die Menge aber sind die Bürger, die Unterthanen. In der Demokratie und Aristokratie ist die Curie das Volk, die Menge aber sind die Bürger. Und in der Monarchie sind die Unterthanen die Menge und der König ist das Volk. Daher ist es ganz falsch, wenn man sagt, der Staat habe sich gegen den König empört; denn, dieses ist unmöglich, es kann sich nur die Menge gegen das Volk empören. [32]

Da übrigens der Staat nicht seinetwegen, sondern der Bürger wegen gegründet ist, denn defswegen begaben sich freiwillig die Menschen in den Staat, um so angenehm als möglich zu leben, so ist die einzige und höchste Pflicht der Herrscher, die Sorge für das Wohl des Vol-. kes. [33]

§. 62.

Kritischer Rückblick auf das Hobbes'sche Staatsrecht.

Das Hobbes'sche Staatsrecht zerfällt, wie

seine ganze Empirie, in lauter Gegensätze und Widersprüche. Selbst die an sich tiefen und wahren Gedanken, die sich unstreitig in demselben finden, lösen sich durch die Art und Weise, die bestimmte Form, in der sie gefafst und ausgesprochen sind, sich selbst widersprechend auf. Unter diese an sich wahren und tiefen Gedanken können z. B. zweifelsohne gerechnet werden: der Gedanke, dafs der Staat nicht blos eine Gesellschaft, eine Societät, sondern eine Einheit ist; der, dass die Moral nur im Staate (natürlich den Staat in seinem Wesen, an sich gedacht) wirklich ist, in ihm nur allgemeine, objective, bestimmte Existenz habe, oder dafs erst mit dem Staate ein allgemeines Mafs dessen, was recht und unrecht, gut und böse ist, gegeben, und somit ein Unterschied zwischen allgemeinem Willen und einzelnem und besonderm Willen gesetzt ist; endlich der damit zusammenhängende Gedanke, dafs die Vernunft nur im Staate existirt, und der Mensch aufser dem Staate in einem bestialischen Zustande sich befindet *). Der Gedanke der Einheit wird aber durch die Bestimmung derselben wieder zu Schanden, indem sie nicht die Einheit der im Einen unterscheidenden, gewährenden, ordnenden, d. i. organisirenden Vernunft ist, sondern die Einheit der Arroganz, die nur dadurch Einheit ist, dafs sie sich allein an die Stelle des zu Vereinigenden setzt, es nichtig setzend und aufhebend, die Einheit der ausschliefsenden und sich dadurch als allgemein geltend machenden Einzelheit oder Willkühr. Die Cives bleiben daher dieser Unio ge

*) Status naturae ad statum civilem h. e. libertas ad subjectionem eam habet proportionem, quam cupiditas ad rationem vel bellua ad hominem. De Civ. Imp. c. VII, 18. Ueber den Unterschied zwischen der cognitio privata und der allgemeinen, der Vernunft des Staates vergl. z. B. l. c. XII. 1. und Leviathan c. 29.

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